Auswanderungsberatung seit 1871
Heutzutage steht den Menschen die Welt von Deutschland aus größtenteils offen - zumindest, wenn man als deutsche*r Staatsangehörige*r aus freien Stücken in ein anderes Land umziehen möchte und über ausreichend finanzielle Mittel verfügt.
Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sah es anders aus. Der katholische Kaufmann Peter Paul Cahensly gründete 1871 den katholischen St. Raphaelsverein, der rund 100 Jahre später in Raphaelswerk umbenannt wurde. In seinen Gründungsjahren bestand die Arbeit des St. Raphaelsvereins in handfester, praktischer Hilfe für die Auswanderer durch Suche nach Pensionen, Überprüfung der Schiffstickets, Information über die Zielhäfen, Seelsorge. Auswanderer mussten in den Hafenstädten in ärmlichsten Verhältnissen auf Schiffe in die neue Welt warten. Sie hatten oft bereits einen Großteil ihrer Habe in die Schiffspassage investiert.
Im 20. Jahrhundert beeinflussten die zwei Weltkriege das Migrationsgeschehen. In der Heimat aufgrund ihrer Nationalität, ihres Glaubens oder ihrer politischen Einstellung Verfolgte suchten ein anderes Land, in dem sie leben konnten, ohne sich verstecken zu müssen.
Später lösten die Balkankriege von 1991-1999 starke Fluchtbewegungen aus. Das Raphaelswerk und die Beratungsstellen der Diakonie arbeiteten im Auftrag der US-Behörden für ein großes humanitäres Aufnahmeprogramm für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina. Die Vorbereitung ihrer Anträge auf Weiterwanderung n die USA, bis zur entscheidenden Anhörung der geflüchteten Personen bei den US-amerikanischen Konsulaten in Deutschland liegt in den Auswanderungsberatungsstellen von Raphaelswerk und Diakonie.
Die Unterstützung und Hilfe für Auswanderer hat sich zwar mit der Zeit verändert, ist jedoch in ihrer jeweiligen Zeit aktuell geblieben.
Heute beraten die Berater*innen zu Zielländern weltweit, zu Einreisebedingungen, Arbeitsmöglichkeiten, Aufenthaltsbestimmungen, Lebensbedingungen, zu Schulsystemen, Sozialsystemen, zur Krankenversicherung. Sie beraten in Fragen der kulturellen Besonderheiten, in Fragen zur binationalen Eheschließung und zum Kindschaftsrecht, zur Rückkehr in das Herkunftsland von Geflüchteten und zur Weiterwanderung.
Von jeher waren es wirtschaftliche, religiöse und familiäre Gründe, welche die Menschen auf der Suche nach einer besseren Perspektive bewogen, eine Auswanderung in Betracht zu ziehen. Hungersnöte, Kriege, Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft, der Nachzug zu ausgewanderten Familienmitgliedern - Auswanderung und Einwanderung sind mitnichten neue Phänomene.
Durch die Globalisierung und die zunehmende Mobilität ist die Welt kleiner geworden. Die Ausreise ist preiswerter als früher, die heutigen Kommunikationsmedien lassen andere Länder näher und vertrauter erscheinen. Kostete eine Schiffspassage von Hamburg nach Nordamerika 1880 noch das Jahresgehalt eines Handwerkers, so sind es heute noch zwei Monatsgehälter. Damit rückt ein Umzug in ein anderes Land viel schneller in den Rahmen der Möglichkeiten.
Die heutigen Wanderungsgründe gleichen den Motiven von Migrant*innen vor 150 Jahren, so Professor Thomas Faist, Gast des vom Raphaelswerk initiierten Podiumstalks.
Der Beratungsbedarf ist geblieben. In veränderter Form, die auch die Kommunikationskanäle bestimmt. Heute nutzen die Berater*innen das Onlineberatungsportal der Caritas, sie beraten per Video, Chat und Telefon.
Die nächsten Entwicklungen ? Es bleibt spannend.